Halima
Erstveröffentlichung HALIMA, erste deutsche Fachzeitschrift for orientalischen Tanz www.halima.de,3. Quartal 2011
Ánathas Jubiläumsshow in Frankfurt
30 Jahre Unterricht und kein bisschen tanzmüde
Am 26. März 2011 fand im Internationalen Theater Frankfurt die Show zu Ánathas 30-jährigem Jubiläum als Lehrerin für orientalischen Tanz statt. Ánatha entdeckte im Jahr 1979 ihre Liebe zum orientalischen Tanz bei einer Bauchtanzaufführung („Es war Liebe auf den ersten Hüftschwung“), seit 1981 unterrichtet sie und kann als eine der Pionierinnen des orientalischen Tanzes in Deutschland bezeichnet werden.
Ihre Jubiläumsshow zeigte die Früchte ihrer unermüdlichen Arbeit: ihre beiden Auftrittsgruppen und einige von ihr ausgebildete Lehrerinnen für orientalischen Tanz zeigten eine bunte, abwechslungsreiche Show die dem Publikum einen kurzweiligen Abend mit wunderschönen Choreografien bot.
Durch den Abend führte Helena Lehmann – charmant und routiniert. Als sich der Vorhang an diesem Abend öffnete, stand Ánatha alleine auf der Bühne, so wie vor 30 Jahren. Dann kam eine weitere Frau dazu, staunte über die Bewegungen, machte sie nach und war begeistert, so begeistert, dass sie weitere Tänzerinnen von links und rechts auf die Bühne winkte und zum Mitmachen animierte. Im Nu war die Bühne voller Power-Frauen: Ánathas Auftrittsgruppe Al-Zuhara formierte sich und die Gruppe in bunten Kleidern zeigte einen ägyptischen Gassenhauer, der peppte. Das Publikum musste einfach mitgehen! Als nächste bot Aicha aus Witten einen kraftvollen Bollywood-Tanz mit vielen für das westliche Auge neckischen Gesten aus dem indischen Tanz. Nach diesem beiden temperamentvollen Programmpunkten verzauberte Ánathas zweite Auftrittsgruppe El Nur in geschmackvollen Kostümen ganz in blau-weiß das Publikum mit einem Fächerschleiertanz und überraschenden Formationen, wofür sie spontanen Szenenbeifall bekamen. Richtig fetzig wurde es dann wieder mit Petra Kamalu, Lehrerin für oreintalischen Tanz aus Offenbach, die beim Zigeunertanz wie ein Wirbelwind über die Bühne fegte.
Ein mitreißendes Trommelsolo zeigte anschließend Sarafina, Lehrerin für orientalischen Tanz aus Mannheim und Mitglied der Gruppe Al-Zuhara. Ihre Beweglichkeit und endlos scheinenden Shimmys begeisterten das Publikum. Im Anschluss zeigte die in der Szene gut bekannte Gruppe Inta Omri mit ihrer Leiterin Conny Wilhelm einen kessen Oriental-Pop.
Ganz lyrisch wurde es dann wieder mit Ánathas erstem Soloauftritt. Ihre goldenen Isis-Wings schwebten über die Bühne, erinnerten an einen Schmetterling oder bildeten eine Tulpenform, in der sie als Tänzerin fast verschwand. Beim Umgang mit diesem großen plissierten Schleier zeigte sich die Könnerin.
Und dann wurde es wieder temperamentvoll: die Gruppe Al-Zuhara zeigte einen typisch traditionellen ägyptischen Stocktanz, wirbelte mit dem Tanzutensil durch die Luft und begeisterte abermals durch ihre Frauenpower. Den Abschluss vor der Pause bildete Manis aus Düsseldorf, die als Gasttänzerin angereist war. Ihr Tango-Oriental war verführerisch, erotisch und geheimnisvoll, gewürzt mit einem Hauch Melancholie.
Diese bunte Palette an Tänzen gab viel Gesprächsstoff für die Pause und wer sich genau informieren wollte, blätterte im ausführlichen Programmheft, in dem die einzelnen Tänzerinnen sowie Gruppen und ihr Hintergrund vorgestellt wurden und Ánathas Werdegang in Wort und Bild kurz wiedergegeben war.
Der zweite Showteil begann klassisch-orientalisch. Ánathas Tanzensemble Al-Zuhara – dieses Mal waren die Ladies ganz in Rot – zeigte einen wunderschönen und synchron getanzten Raks Sharqi mit einem Schleier-Entrée. Auch diese Choreografie, wie alle Choreografien für Al-Zuhara und El Nur stammte aus der Feder von Ánatha. Weiter ging es mit einer Besonderheit: Sarafina tanzte ihr zweites Solo, eine Kombination von Techno und orientalischem Tanz. Die Beats animierten das Publikum zum kräftigen Mitklatschen. Sarafina ließ durch ihre Präzision und gekonnten Akzente geradezu atemlos werden. Eine Nachwuchstänzerin, von der wir hoffentlich mehr sehen werden! Mit einem türkischen Popstück begeisterte die Gruppe El Nur. Acht Frauen bewegten sich anmutig und bildeten verschiedene Gruppenformationen zu einem Musikstück, das das Zeug zu einem Ohrwurm hat. Es hatte den Anschein, als ob das Publikum am liebsten mitgeträllert hätte. Arabisch-spanisch war das nächste Thema. Ánatha tanzte zwei Personen, die stolze Spanierin, die ihren Geliebten verlassen hat, und den vor unerfüllter Sehnsucht vergehenden Liebhaber. Ihre eindrucksvolle Interpretation ging ans Herz.
Das Duo Sahana hat sich im Auftrittsensemble Al-Zuhara gefunden und die gemeinsame Liebe zum indischen Tanz bzw. zum Bollywood Dance regte sie zum Auftritt an. Der gezeigte Bollywood-Dance nach einer Choreografie von Manu Singh, ließ den Bühnenboden dröhnen bei den stampfenden Schritten, und die Liebe zum Detail zeigte sich in den zahlreichen Mudras, den typischen symbolischen Handgesten des indischen Tanzes sowie in der gekonnten Fußarbeit. Der Schleier und der Orient sind ein Paar, das zu jeder orientalischen Tanzshow dazugehört. Das Trio Aicha, Lisa und Maimoona zeigte eine Choreografie von Manis: neckische Bewegungen wechselten sich mit lyrischen Schleierfiguren ab; das Schleierstück im Rumba-Rhythmus verzauberte das Publikum. Als Nächstes folgte Manis selber, dieses Mal mit einer Fusion aus Salsa und orientalischem Tanz. Elegant und erotisch, in einem fantasievollen rot-schwarzen Kostüm, zeigte Manis eine ihrer aus der Spontanität geborenen, frei getanzten Darbietungen mit viel Atmosphäre.
Der folgende Auftritt von Petra Kamalu war eine bezaubernde Kombination verschiedener Kultureinflüsse: indischer Gesang, Walzerrhythmus, orientalisches Kostüm und chinesischer Fächerschleier verbanden sich in einem kunstvoll getanzten Stück. Das Kontrastprogramm brachte Al-Zuhara auf die Bühne. Der spanisch-arabische Tanz mit stolzen Posen zeigte wiederum die Power der Gruppe, als sich die Bühne mit den schwingenden Röcken füllte.
Ganz anders zeigte sich Inta Omri im vorletzten Programmpunkt. Kabarett-Oriental nannte sich dieses Stück, in dem die sechs Frauen in Frack und mit Zylinder auf die Bühne kamen und einen kecken, frechen Auftritt aufs Parkett bzw. die Bühnenbretter legten: eine Hommage der Sängerin Aisha an diese Metropole, die ihr Flair übers Jahrtausend bewahrt hat. Das Publikum belohnte mit kräftigem Applaus.
Das facettenreiche Programm ging mit einem von Ánatha getanzten Raks Sharqi, dem Tanz in seiner Ursprungsform, wie er ihre Begeisterung vor mehr als 30 Jahren geweckt hatte, zu Ende. In einem stilvollen hellblauen Kostüm zeigte Ánatha die Kunst des orientalischen Tanzes pur. Sie zeigte das, was auch ihre Schülerinnen auszeichnet – eine präzise Technik verbunden mit viel atmosphärischer Ausdruckskraft. Das Publikum feierte Ánatha, ihre Schülerinnen und die Gasttänzerinnen mit Standing Ovations: „Ánatha and Friends“ bereiteten den Zuschauern einen wunderschönen Abend mit Tanz auf hohem Niveau und einer weiten Spannbreite.
Eva D. Hofmann
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Erstveröffentlichung HALIMA, Oktober 2002
Porträt ÁNATHA aus Frankfurt am Main
Ein Leben mit dem Orientalischen Tanz
Dieses Interview wurde anlässlich des 20-jährigen Unterrichtsjubiläums von Ánatha geführt. 20 Jahre Tanz und Tanzen als Lebensinhalt, das haben Ánatha geprägt, aus jeder Zeile dieses Interviews spricht ihr Engagement und ihre Begeisterung für ihren Beruf. Mit dem Schwung einer 20 jährigen wirft sie sich voll Freude mit leuchtenden Augen in ihre Aufgaben und reißt einem beim Zuhören mit. Der Name Ánatha kommt aus dem Tibetischen und bedeutet „ewig“ – und Ánatha vermittelt den Eindruck, dass sie ewig weitertanzen wird … (s. auch ihre Homepage www.anatha.de)
Vorwort: Eva D. Hofmann
Interview geführt von Surya:
SURYA: Seit 1981 bist du Orientalische Tänzerin und Lehrerin, zudem bist du eine der allerersten Frauen, die seit 1986 eine Ausbildung für angehende Lehrerinnen anbietet. Wann und wie war deine erste Begegnung mit dem Orientalischen Tanz ?
ÁNATHA: Es war im Herbst 1979. Auf einem Frauenfest in Frankfurt sehe ich die Aufführung einer Bauchtanzgruppe. Anschließend tanzen wir alle mit. Mir war, als träfe mich der Blitz´. Ich habe immer schon gerne getanzt, aber das war so etwas ganz anderes. Es hat mich auf eine besondere Art ganz tief angesprochen, und es war klar, dass ich das lernen würde. Die Lehrerin war Monika Rosenkranz, von Haus aus eine Gestalttherapeutin, die bei ihren Aufenthalten in den USA Bauchtanz gelernt hatte. Sie war die erste, die seit 1977 in Frankfurt unterrichtet hat, allerdings hatte sie nur eine einzige Gruppe. Im Januar 1980 hat sie eine neue Anfängerinnengruppe begonnen, und ich war dabei. Sehr bald habe ich in beiden Gruppen getanzt und zu Hause vor dem Spiegel, wenn ich Abwechslung vom Schreiben meiner Diplomarbeit im Studienfach Soziologie brauchte, was eigentlich täglich der Fall war.
SURYA: Wie bist du dann zu deinem eigenen Kurs gekommen ?
ÁNATHA: Ende 1980 ist Monika Rosenkranz wieder für ein Jahr in die USA gegangen. Unsere Gruppe wurde Anfang 1981 von Dietlinde Bedauia Karkutli und einer anderen Frau übernommen. Monika und Dietlinde hatten sich auf einem privaten Fest kennengelernt, und Monika hat sie gefragt, ob sie ihre Gruppe weiterführen würde. Ich habe dann ein paar Monate bei Dietlinde und der anderen Frau – ich glaube, sie hieß Marion – getanzt.
Schon Anfang 1981 wurde ich von Freundinnen gefragt, ob ich einen Bauchtanzkurs für sie geben würde. Es gab nichts für Anfängerinnen, wo ich sie hätte hinschicken können und so habe ich ihnen versprochen anzufangen sobald ich meine Diplomarbeit abgegeben hätte. So gab ich ab März 1981 meinen ersten Unterricht. Mein Werdegang ist typisch für die damalige Zeit. Viele sind damals durch ein bisschen Zureden und weil es so viel Spaß machte zum Unterrichten gekommen. Im Juni ´81 fand mein erster 5-Tage-Workshop im Frauenferienhaus in Zülpich/Eifel statt. – Diese Workshops habe ich viele Jahre lang gegeben. Es kamen dann Wochenend-WSs in Frankfurt dazu und später an anderen Orten Deutschlands, auch in der Schweiz und 1988 sogar in Australien. In Frankfurt hatte ich ab Sommer 1981 immer mehr Kurse. 1982 konnte ich einen bescheidenen Lebensunterhalt damit bestreiten und beschloss, einen Beruf daraus zu machen. Es war schon in den Jahren vorher mein Wunsch gewesen, mich selbständig zu machen – vor dem Studium hatte ich 8 Jahre als Lehrling und Angestellte gearbeitet – und ich erinnere mich an eine Gelegenheit, als ich 1980 im Scherz sagte, am Liebsten würde ich mein Geld mit Tanzen verdienen. Natürlich dachte ich nicht im Traum daran, dass das wahr werden würde.
SURYA: Wer waren deine Lehrerinnen und Lehrer ?
ÁNATHA: Oh, es waren eine Menge Lehrerinnen und Lehrer. Im Laufe der Jahre waren es u.a. Nahema, Leila Haddad, Momo Kadouz, Morocco, Wendy Bonaventura, Sigrid Brenner, Ingrid Hirsch, Bert Balladine, Nelly Mazloum, Issam, Kathryn Fergusen, Magdy El Leisy, Mahmoud Reda, Feyrouz, Zahrefa, Amaya, Nesrin Topkapi, Hassan Khalil, Manis, Alitza, Samra, Jalilah, Ibrahim Farrah, Ragia Hassan, Gamal Seif, Khaled Seif, Hassan Affifi, Aladin, Khadeja und Mustapha, Sabuha Shahnaz, Sakti, Beata und Horacio Cifuentes, Shirinshah, Helene Erikson, Shareen El Safy, Amel, Shahrazad. Bei manchen habe ich nur einen Workshop gemacht. Es gab Jahre, in denen ich alles kennenlernen wollte. In den letzten Jahren waren Beata und Horacio Cifuentes meine wichtigsten Lehrer.
SURYA: Das ist ja ein starkes Fundament, worauf du bauen kannst. War das die Grundlage zur Idee deines Lehrerinnenausbildungsprojektes?
ÁNATHA: (lacht) naja, das waren mal wieder die anderen, die den Anstoß dazu gaben. Bis es soweit war, habe ich erst einmal sehr viel über Körpererfahrung, Körperarbeit und -therapie gelernt. Seit 1976 sammelte ich außerdem Erfahrungen mit unterschiedlichen Methoden der Humanistischen Psychologie. Ich besuchte Fortbildungen in den verschiedenen Tanzrichtungen, Körperarbeit, Bodyevolution, Tanzimprovisation, Rückenschule und Yoga. Ab 1982 machte ich eine zweijährige Ausbildung in Körper- und Atemtherapie bei Hildegund Graubner in München. Mit diesen Methoden habe ich einige Jahre in Einzelarbeit praktiziert.
Zudem begann ich 1986 eine mehrjährige psychotherapeutische Ausbildung in Mind-Clearing, Problemclearing, Paartherapie und anderen Wachstumsmethoden. Auch damit habe ich in Einzelarbeit und mit Gruppen gearbeitet. – Intensiv beschäftigte ich mich mit alten Yoga-Traditionen, Hinduismus, Buddhismus und westlichen Religionen. 1989 ging ich für ein halbes Jahr nach Australien und habe dort täglich mehrere Stunden Meditation praktiziert.
SURYA: Du liebe Güte, das ist ja eine ganze Menge an zusätzlichen Ausbildungsformen. Ich habe den Eindruck, dass du an dich selber hohe Ansprüche stellst im gründlichen Bemühen, Frauen auszubilden. Das ist doch eine enorm große Anforderung. Waren es eigentlich zwei gesonderte Berufssparten, die Therapie und der Tanz, die du beruflich ausführtest? Oder gehörten diese beiden Begriffe für dich beruflich zusammen?
ÁNATHA: Lange Zeit waren für mich der orientalische Tanz, die therapeutische Arbeit und mein Interesse an der Spiritualität getrennte Bereiche, unter dieser Trennung habe ich auch gelitten. Erst in den 90er Jahren ist alles an seinen Platz gerückt, und es hat sich in mir zu einer Einheit verknüpft und dadurch entstand das Gefühl, dass ich meinen Platz im Leben ausfülle.
SURYA: Gestatte mir eine Frage: War dieses halbe Jahr Australien für dich eine Art “Aus-Zeit“, um herauszufinden, welchen Weg du einschlagen wolltest?
ÁNATHA: Ich wollte herausfinden, welchen Stellenwert das Spirituelle für mich hat, ob ich gar das Leben einer Nonne oder Einsiedlerin leben könnte. Ich hatte einen amerikanischen Lehrer, der einen alten indischen Yogaweg mit westlichem Denken verband. Es wurde mir dann klar, dass ich in Deutschland bleiben wollte, dass ich tanzen wollte und dass ich nicht die Zeit hatte, Therapeutin und Tänzerin zu sein. Damals sagte ich mir: „Ich kann noch mit siebzig Therapie geben.“
SURYA: Wann und wieso kam dir die Idee zu einer Lehrerinnenausbildung für Orientalischen Tanz?
ANATHA: Das war 1986, als mich Schülerinnen von mir danach fragten. Sie waren wiederum von ihren Freundinnen gefragt worden. Ich hatte schon damals eine Warteliste und konnte gar nicht so viel unterrichten wie ich Anfragen hatte. Die ersten Ausbildungsgruppen bestanden nur aus Frauen, die in meinen wöchentlichen Kursen waren, erst später kamen andere dazu. Damals umfasste die Ausbildung acht Wochenenden, jeweils zwei volle Tage, heute sind es zwölf Wochenenden über eine Zeitdauer von 1 1/2 Jahren. Im Oktober wird die 10. Gruppe beginnen und heute kommen die Frauen aus dem ganzen Bundesgebiet , sogar aus Luxemburg und Österreich. In der letzten Gruppe war eine Frau, die ist mitten in der Nacht aufgestanden, um mit dem Flugzeug von Klagenfurt in Österreich zu mir zu kommen. Sie hat in der Ausbildungszeit ein eigenes Studio aufgebaut und ist jetzt sehr erfolgreich. Wenn einer Frau so etwas gelingt und sie so einen Einsatz bringt – das finde ich unglaublich schön. Ich liebe auch meine wöchentlichen Kurse, aber in den Ausbildungsgruppen kann ich alles, was ich je gelernt und über die Jahre herausgefunden haben, einbringen und vermitteln. Das sind Frauen, die wollen alles wissen, und da ist der Rahmen und die Zeit dafür da, alles weiterzugeben und zu erklären: Warum ich dieses so mache, und jenes nicht tue usw. Durch diese Gruppen habe ich viel gelernt, weil ich mir über alles, was ich unterrichte, Gedanken machen musste. Manchmal fragen sie mir Löcher in den Bauch und dann blühe ich so richtig auf und freue mich über ihr Engagement. Ich bin in meinem Unterricht sehr analytisch und nehme alles auseinander und hinterfrage alles.
SURYA: Dadurch entsteht sicher ein großes Wissen mit der Zeit ?
ANATHA: Ja, ich zerlege die Bewegungen und beschäftige mich mit der Anatomie, so dass ich weiß, von wo die Bewegung ausgeht und welche Muskeln die Bewegung beenden, z.B. bei Akzenten. Dadurch lernen die Schülerinnen sehr viel schneller als wir „alten Hasen“ in unseren ersten Jahren. Frauen, die mit dem orientalischen Tanz beginnen, brauchen die besten Lehrerinnen, die wirklich wissen, was sie tun und sinnvoll korrigieren können. Wer eine gute Basis und Technik hat, lernt damit unglaublich schnell weiter. Du kannst dann zu jeder Lehrerin oder jedem Lehrer gehen und siehst nicht nur, WAS das für eine Bewegung ist, sondern auch WIE sie – oder er – die Bewegung macht, auch wenn sie nicht erklärt wird – was ja immer noch oft der Fall ist. Du siehst dann den Unterschied von einer Baladi- oder Raks Sharqi-Bewegung und kannst es mit dem eigenen Körper nachvollziehen. Im Moment arbeiten verschiedene Lehrerinnen und Lehrer daran, Bewegungen zu analysieren und verständlich zu machen und das ist gut so, finde ich. Wenn etwas reif ist, entsteht es gleichzeitig an verschiedenen Orten und wenn wir uns intensiv mit etwas beschäftigen, kommen wir zu neuen Erkenntnissen, ohne das es uns jemand sagen muss.
SURYA: In diesen Ausbildungsgruppen ist dir auch die persönliche Betreuung und Supervision wichtig ?
ANATHA: Ja, sicher. Jede Teilnehmerin sollte in der Ausbildungszeit mit einer eigenen Gruppe beginnen und gleich das Gelernte umsetzen. Dadurch vertieft es sich und die Fragen entstehen ja doch meist in der Praxis. Jedes Wochenende beginnt damit, dass die Frauen von ihren Gruppen berichten und Fragen stellen können, denn das ist für alle interessant und jede erzählt kurz, wie es ihr mit dem Tanzen und den Hausaufgaben ergangen ist. Ich habe nicht mehr als 8 bis 12 Frauen in den Gruppen, damit ich für jede Zeit habe. Wenn die Frauen zwischen den Wochenenden Fragen oder Probleme haben, rufen sie mich außerdem einfach an.
Mir ist es sehr wichtig, dass sie das Zutrauen und das Selbstbewusstsein bekommen, sich als Lehrerin zu präsentieren und eine im positiven Sinne „Lehrerpersönlichkeit“ zu entwickeln. Für mich heißt das, andere, die sich mir anvertrauen, auf jede nur mögliche Art zu unterstützen und für sie dazusein. In meinem Unterricht frage ich mich häufig, was die Gruppe und die einzelnen Frauen brauchen und gehe dann darauf ein.
SURYA: Hat das Thema Körper dich zu weiteren Unterrichtstätigkeiten gebracht ?
ANATHA: Seit 1993 gebe ich mehrtägige Fortbildungsseminare, insbesondere bei der Stadt Frankfurt zum Thema “Körperliche Belastung am Arbeitsplatz“ und bei der VHS das Seminar „Entspannter im Büro arbeiten“. Das beinhaltet Themen wie Antistressprogramm, Rückenschule, progressive Muskelentspannung, Autogenes Training, Hatha-Yoga und die von mir entwickelte Zusammenstellung von Übungen zur Entspannung, Dehnung und Kräftigung der Muskulatur. Auch hier kam der Anstoß wieder von außen. Eine Mitarbeiterin des Frauenreferats der Stadt Frankfurt, die bei mir tanzte, bat mich, diese Seminare für die Frauen der Stadtverwaltung anzubieten. Meistens halte ich die Seminar zwei oder drei Mal im Jahr. Dadurch muss ich mich immer wieder mit Entspannungstechniken und Antistressprogrammen beschäftigen – das tut auch mir gut – natürlich nur, wenn ich sie auch anwende. Alles, was mit Körper, Gesundheit, Wellness, Ernährung, alternativen Heilweisen zu tun hat, interessiert mich brennend. Berufe wie Physiotherapeutin, Heilpraktikerin und Ärztin, Ernährungs- und Gesundheitsberaterin wären auch interessant für mich. Aber vor allem liebe ich das Tanzen.
SURYA: Engagierst hast du dich außerdem in den Gründungsjahren des Bundesverbandes für Orientalischen Tanz e. V., nicht wahr ?
ÁNATHA: Ja, ab 1994 war ich 2 Jahre lang stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbandes.
SURYA: Du bist nicht nur Lehrerin, sondern wir kennen dich auch als Tänzerin. Bitte erzähle uns etwas über diesen Werdegang.
ÁNATHA: Schon in den ersten Jahren hatte ich kleinere Auftritte. 1988 gestaltete ich alleine ein abendfüllendes Programm mit 3 Showblöcken von jeweils ca. 30 Minuten und dazwischen Kostümwechsel. Das habe ich zwei Mal in Frankfurt und Gelnhausen aufgeführt. Heute wäre das nicht denkbar, so lange einer einzigen Tänzerin zuzuschauen. Aber damals war es ein großer Erfolg. In diesen ersten Jahren ist es öfter vorgekommen, dass mir Frauen gesagt haben, dass sie bei meinem Auftritt sehr ergriffen gewesen seien und feuchte Augen bekommen hätten. Im selben Jahr habe ich in Kairo Suher Saki tanzen gesehen. Das war unbeschreiblich schön. Sie hat auf ihrer Tanzfläche gelebt, zum Teil ganz nah bei den vordersten Gästen getanzt, da war keine erhobene Bühne, es gab keine Stuhlreihen, sondern man saß an Tischen. Sie war wie die Sonne in ihrer Ausstrahlung und ihre Bewegungen haben mich in ihren Bann gezogen und ich war wie verzaubert. Später habe ich sie in Frankfurt im Volksbildungsheim gesehen, aber das was nicht ihr Boden und nicht die vertraute Umgebung mit den vertrauten Menschen.
Doch zurück zu meinen Auftritten. Ich liebe den persönlichen und direkten Kontakt beim Auftritt, wenn die Augen der Zuschauerinnen anfangen zu leuchten, die Menschen sich entspannen und fröhlich werden. Einen guten Auftritt kann man einen alchemistischen Prozess nennen: die Menschen vergessen ihren Alltag, die Gedanken, die sie noch eben beschäftigt und belastet haben, sind vergessen, und sie tauchen ein in Freude, Anmut, Gelöstheit und Harmonie. Und hinterher strahlen sie. So wünsche ich mir meine Auftritte. Aber auf der Bühne ist das schwer zu erreichen, ich bin dort nie zufrieden mit mir. Eine Ausnahme waren die Shows mit der Showgruppe BANAAT EL AMAR. Trotzdem gab es einige Bühnenauftritte: Unvergesslich war 1998 die Persische Nacht in der Ballsporthalle Frankfurt mit ca. 2.000 Zuschauern – wir tanzten als Vorgruppe bei einem Konzert von Khaled. Dann gab es Shows mit Beata und Horacio in Frankfurt, den „Tanz der Sterne“ von Karim Izadi, Auftritte in Aschaffenburg, Hainburg, Assenheim, bei der ORIENTA in Frankfurt, dem Freundschaftstreffen in Bad Camberg – das sind Auftritte, die mir jetzt so spontan einfallen. Dann gab es immer wieder Auftritte in Kulturzentren, sozialen Einrichtungen, beim Kirchentag, eine Auftrittsreihe bei der Stadt Frankfurt sowie unzählige private Auftritte.
SURYA: Du hast eben BANAAT EL AMAR erwähnt – du hattest einige Jahre eine eigene Auftrittsgruppe, die „Töchter des Mondes“. Wie kamst du dazu ?
ÁNATHA: 1995 gründete ich gemeinsam mit Gudrun Brum und Nesmah Karin Stöber die Tanzgruppe BANAAT EL AMAR. Wir haben drei Shows auf die Bühne gebracht, jeweils mit komplett neuem Programm. Wir haben die ganze Bandbreite des orientalischen Tanzes gezeigt, neben Raks Sharqi auch Baladi, Folklore von Tunesien bis zu den Golfstaaten und höfischen Tanz, damit meine ich persisch und arabisch-andalusisch.
Die Choreographien haben wir zum größten Teil selbst geschrieben, jede von uns dreien hat ihre speziellen Fähigkeiten, die sie eingebracht hat. Es war unendlich viel Arbeit, aber es hat mich tänzerisch sehr viel weitergebracht. Normalerweise geht viel Zeit und Energie in den wöchentlichen Unterricht und die Ausbildungsgruppen (es gibt 4 Bände Unterrichtsmaterial), aber in diesen 5 Jahren habe ich oft wochenlang von morgens bis in die Nacht für die Shows gearbeitet. Es war sehr produktiv und etwas traurig bin ich schon, dass wir aufgehört haben, aber dadurch ist wieder Zeit für Anderes frei geworden.
SURYA: Was unterrichtest du denn am Liebsten ?
ÁNATHA: Spontan fällt mir „Arabic-Flamenco“ ein. Es ist so, dass es immer wieder neuen Schwerpunkte gibt, die mich aktuell interessieren. Das Alte läuft weiter, doch ich brauche neue Herausforderungen, ich mag nicht zuviel Routine in meinem Leben haben. Und bei dieser Frage fällt mir ein, WEN ich gerne unterrichte. Neben den ganz „normalen“ Schülerinnen liegen mir die Frauen besonders am Herzen, denen das Tanzen schwer fällt, die sich ihren Körper erst aneignen müssen, mit ihm vertraut werden müssen. Im Moment arbeite ich z.B. in Einzelarbeit mit einer Frau, die Multiple Sklerose hat. Sie war Anfang der 80er Jahre meine Schülerin. Die Bewegungen des Bauchtanzes tun ihr so gut und sie findet es wunderbar. Sie kann keine Schritte machen und geht im Alltag mit dem Stock. So tanzen wir auf der Stelle oder im Sitzen und sie entdeckt ganz neue Dinge an ihrem Körper. Und dann empfinde ich meine Arbeit mal wieder als ein Geschenk.
SURYA: Wie sieht es mit deinen weiteren Zielen aus ? Hast du welche ?
ÁNATHA: Manchmal überlege ich, ob ich die Texte zur Ausbildung veröffentlichen soll. Aber eigentlich gehört der persönliche Unterricht dazu, damit das, was ich meine, verstanden wird und individuell umgesetzt werden kann von den Frauen. Ein Traum wäre ein eigenes Studio mit viel, viel Platz, aber da hätte ich gern den Lottogewinn dazu und jemanden, der das Studio „schmeißt“. Ich möchte nicht in Verwaltungsarbeit ersticken und immer die Sorge um die Finanzen haben (jede Studiobesitzerin weiß sicher, was ich meine). Vor allem möchte ich für meine Schülerinnen arbeiten, nicht für Geld. Das Studio ist wohl nur ein Traum und so wie es jetzt ist, mit dem angemieteten Raum, ist es auch in Ordnung.
SURYA: HALIMA gratuliert Dir nachträglich zu deinem 20jährigen Jubiläum, welches du im März 2001 gefeiert hast.
Wir wünschen dir auch für die Zukunft alles Gute!
ÁNATHA: Danke ! (Ánatha strahlt) – Ja, es war ein wunderschönes Jubiläums-Fest. Rund 400 Frauen, Männer und Kinder kamen in das Jugendzentrum von Frankfurt-Höchst. Über 40 Frauen führten Einzel- und Gruppen-Tänze auf. Davon waren etliche ehemalige Schülerinnen von mir, die mit ihren Gruppen gekommen waren. Zwei Trommler waren dabei und Sakti aus den USA, sie trugen zum abwechslungsreichen, unvergeßlichen Abend bei. Und wie zu meinem Beginn vor 20 Jahren konnte das Publikum zwischen den Tanzeinlagen mitmachen. Bei vielen sprang der Funke zum Tanzen über. Eine Fotoausstellung ließ 20 Jahre meines Leben mit dem Orientalischen Tanz Revue passieren. Ich weiß heute noch genau wie bei mir „der Blitz einschlug“.
Interview und geschrieben: SURYA Else-Margit Wenzel
Vorwort: Eva D. Hofmann